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Internationale Tagung: Staunen als Grenzphänomen, Zürich


(Abstract)

Staunen indiziert eine (noch) nicht kategorisierbare Fremdheit und konstituiert damit eine Grenze des Verstehens und Wissens. Im antiken philosophischen Diskurs bestimmt das Staunen (thaumazein) die Grenze zum Unwissen und ruft einen Schwindel der Verunsicherung hervor, aus dem heraus sich ein Begehren nach Wissen entwickeln kann. Es ist zugleich auch Ausdruck einer semantischen Leere vor dem Fremden, das sich dem Erfahrungswissen entzieht. Zugespitzt gesagt: Staunen ist Anfang der Philosophie und Anfang der Ethnologie (Schlesier). In dieser Funktion eines Moments der verunsichernden Re-Flexion auf die Begrenztheit des eigenen Bereichs (Wissen/Welt) und gleichzeitigen Öffnung des Blicks auf ein Neues, Anderes, Fremdes, das sich in diesem Blick erst(mals) figuriert, ist dem Staunen eine intrikate Ambivalenz inne. In der Erkenntnis der Grenze des Eigenen entsteht die Möglichkeit der Grenzüberschreitung. Damit konkretisiert sich im Staunen das Grundproblem menschlicher Episteme zwischen Gefährdung und notwendiger Aufgabe. Insofern wird Staunen zum Stimulus eines Begehrens nach Transgression, sei dies im Bereich des Wissens, als „kognitive Leidenschaft“, sei dies im Bereich der Macht als gewalttätiger Übergriff, als machtpolitische Transgression, sei dies im Bereich der Imagination als Überschreitungen der Realität in imaginäre Welten. Anderseits kann das Staunen auch zum Indiz einer Unfassbarkeit, einer absoluten Transzendenz werden. Hier ist das Staunen nicht mehr Stimulus eines Begehrens, sondern Ende jeden Begehrens, Ausdruck eines Zustands, in dem ein radikal anderes, nicht mehr an Körper und Verstand gebundenes Wissen sich ereignet. Staunen wird hier codiert als Moment einer Transzendenzerfahrung. Auf dem Hintergrund dieser Phänomene stellt sich dann auch die Frage, inwiefern Staunen im Kunstdiskurs zu einem Moment des lustvollen Verharrens auf den Grenzen der Wahrnehmung, des Wissens und der Erfahrung werden kann. Die je eigene Wertung des Staunens ist Produkt seiner diskursiven Instrumentalisierung (z.B. Gotteserkenntnis vs. Wissensneugier vs. Kunstbetrachtung vs. Exotikdiskurs im Kontext der Kolonialisierung) und einer historisch- semantischen Signifizierung.

Die Tagung hat zum Ziel, aus verschiedenen Disziplinen und im Blick auf verschiedene historische Zeiten die Aufmerksamkeit auf diesen Moment der Grenzerfahrung und Grenzziehung, der Neugier und Reflexion, der Erkenntnis und Blindheit zu lenken, um in gemeinsamer Diskussion diesen intrikaten Anfang von Denken, Erkennen, Sehen und Dichten genauer fassen zu können.

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